Zeitungsausschnitt “Unternehmensgründung”

Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 28.10.2003:
(Artikel als Text dargestellt siehe unter der Grafik)

Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 28.10.2003

„Da werden andere Sinne wach“

Gisela Zieglmeier ist blind – trotzdem hat sie sich selbstständig gemacht und therapiert nun kranke Menschen

Von Doris Näger

Unternehmensgründer, die sind stabil, belastbar, risikofreudig, kerngesund und hart im Nehmen. Keine Frage. Müssen ja schließlich Klinken putzen und schuften bis in die Nacht. Gisela Zieglmeier ist anders. Sie tritt dem Besucher dezent, fast zurückhaltend entgegen, grüßt mit zarter Hand. Ihre Augen, mit denen sie dem Gegenüber schnurstracks ins Gesicht blickt, erkennen nichts – nur Licht. Gisela Zieglmeier, 56, blind, hat vor einem dreiviertel Jahr eine Praxis für Atemtherapie aufgemacht – und damit den Schritt in die Selbstständigkeit riskiert.

„Mit diesem Beruf findet man keine Anstellung“, musste sie feststellen. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit hatte sie genug der Sucherei. Sie ließ sich im Büro für Existenzgründer beraten, belegte Seminare, beantragte beim Arbeitsamt und bei der Regierung von Oberbayern Zuschüsse und zinslose Darlehen, auch für eine blindentaugliche Computer-Ausstattung. Eine Grafikerin entwarf den Prospekt, ein Existenzgründer-Berater schaute ihn sich an. Für den großen Praxisraum unterm Dach des Reihenhäuschens in Unterschleißheim suchte Zieglmeier selbst eine Liege, Korbmöbel und Teppich aus. Die Farben bestimmte sie. Angst, es nicht zu schaffen, hatte sie kaum. „Ich habe einen sehr starken Willen und sehr viel Optimismus.“

Gisela Zieglmeier ist blind seit ihrem 28. Lebensjahr. Damals verlor sie ihr Augenlicht durch eine Netzhautkrankheit, die sich schleichend fortsetzte. Zu dem Zeitpunkt hatte sie schon eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, einen Ehemann, Sohn und Tochter. Als diese 18 wurde, wollte sie wieder arbeiten. Doch die Augenärzte rieten ihr von der anstrengenden Physiotherapie ab. Mit 41 Jahren ließ sie sich im Berufsförderungswerk für spät Erblindete umschulen zur Telefonistin, lernte Blindenschrift, perfektionierte ihre Bürofertigkeiten und arbeitete sechs Jahre lang in der Verwaltung der Bundeswehr. Doch dann wurde sie krank: Asthma. Sie musste ihren Job in der Fernsprechabteilung aufgeben. Begeistert von der Wirkung der Atemtherapie ließ sie sich 1996 erneut umschulen zur Atem- und Körpertherapeutin. Doch Bewerbungen blieben erfolglos.

An ihre Selbstständigkeit müssen sich die Menschen in ihrem Umfeld erst noch etwas gewöhnen. Zum Beispiel ihre Tochter: Sie war lange Zeit ihre Stütze, weil Gisela Zieglmeier sich nicht traute, ihre Sehbehinderung zuzugeben. Damals habe sich die Tochter wohl der Mutter überlegen gefühlt. „Jetzt ist sie 33 und stellt mit Bewunderung fest, dass ihre Mutter doch was auf die Beine bringt“, schmunzelt Ziegelmeier. Im Prospekt verschweigt sie die Blindheit. Als sie zum Schnupperkurs einlud, verriet sie ihr Handicap erst in der Vorstellungsrunde – und erntete große Überraschung. „Für mich ist es so selbstverständlich geworden“, sagt sie.

Gisela Zieglmeier geht alleine Kleider kaufen, sie hat sich an den weißen Stock gewöhnt und fährt mittlerweile wie selbstverständlich U- und S-Bahn. „Da hilft mir meine Arbeit, die Angst zu verlieren.“ Sie managt ihr Geschäft selbst, samt Rechnungsstellung und Auftragsorganisation. Klienten hat sie mehr und mehr, die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert. „Vielleicht wären es mehr Kunden, wenn ich sehen könnte.“ Aber wer weiß das schon. Vielleicht ist eine Blinde die bessere Therapeutin? „Da werden andere Sinne wach“, bestätigt Zieglmeier. „Augen können auch sehr ablenken.“

 

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